Heute schon gesnackt? SNACKOSZ aus Frankfurt/Oder
Schüler:innenfirmen vermitteln Zukunftskompetenzen, die in der Schule mitunter zu kurz kommen. Am Konrad Wachsmann Oberstufenzentrum in Frankfurt/Oder ist so ein ganzer Markenkosmos entstanden.
In Frankfurt/Oder, an der Grenze zum polnischen Slubice, stehen im Sommer 2022 vier junge Menschen am Scheideweg. Sie sind 19 Jahre alt, gestern war ihr Abiball, die Schulzeit ist offiziell vorbei. Während ihre Mitschüler:innen den ersten Tag in Freiheit verbringen, sind diese vier noch einmal den altbekannten Weg gegangen. Er hat sie in die Küche des Konrad Wachsmann Oberstufenzentrums geführt. Sie tragen Schürzen, die eine Frage aufwerfen: „Heute schon gesnackt?“ Eine plastikbehandschuhte Hand greift in die andere, Till Friedrich schneidet die Hefeklöße auf, Max Conrad gibt Soße und Pulled Pork hinein, Tim Jechow verteilt das Salattopping und Meike Heinrich richtet das Ganze auf einem Teller an.
Der Pulled Pork Hefekloß ist eine Frankfurter Eigenkreation. Die Klöße stammen vom örtlichen Knödelspezialisten „Oderfrucht“, einem der Kooperationspartner der Schüler:innenfirma. Die Idee, daraus eine Art Brandenburger Burger zu machen, kommt vom Team der Schüler:innenfirma am Konrad Wachsmann Oberstufenzentrum unter Leitung der stellvertretenden Schulleiterin Nadine Heinrichs. Seit zehn Jahren gibt es dort in Kooperation mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) eine Schüler:innenfirma, seit zwei Jahren firmiert sie unter dem Namen SnackOSZ, einer Zusammensetzung des Wortes „Snack“ und der Abkürzung für Oberstufenzentrum (OSZ). Der Untertitel: „gesund & lecker“. Beraten wird die Schüler:innenfirma von Norbert Bothe von der Servicestelle Schülerfirmen Brandenburg, Partner der DKJS vor Ort.
Kooperation statt Konkurrenz
„Wir wollen zeigen“, sagt Heinrichs, „dass man auch ohne Fertigprodukte leckeres Essen kochen kann.“ Konkret heißt das: Wird für ein Gericht Apfelmus benötigt, werden zuerst Äpfel geschält. Soll ein Hot Dog mit Senf oder Ketchup serviert werden, werden diese Soßen selbst hergestellt. Das ist zum einen in der Regel gesünder. Zum anderen lernen die Schüler:innen etwas über die Zubereitung und Hintergründe von Lebensmitteln. Kräuter und Gemüse kommen zum Teil aus dem dafür angelegten Garten der Schule. Sogar Honig wird vor Ort produziert. Jeden Donnerstag wird das Essen in überschaubarer Stückzahl angeboten, etwa 25 Mahlzeiten bei 1600 Schüler:innen. Sie wollen keine Konkurrenz zur Schulcafeteria sein. Das ist einer der grundlegenden Kriterien in der Arbeit der Schüler:innenfirmen der DKJS: Statt in Konkurrenz mit lokalen Unternehmen zu treten, setzt die DKJS auf das gegenteilige Modell und empfiehlt den Schüler:innenfirmen lieber die Partnerschaft zu den Wirtschaftsbetrieben vor Ort zu suchen. Neben den Knödelspezialisten von „Oderfrucht“ gehört dazu auch die lokale Bäckerei Baumgärtel. Sie unterstützt die Schüler:innenfirma etwa mit einem Käsekuchenworkshop oder sie backen gemeinsam Sauerteigbrot.
Heute aber gibt’s Pulled Pork Hefeklöße. Nadine Heinrichs schaut auf ihr Team, das diese gerade zubereitet und in ihrem Blick lässt sich Stolz ausmachen. Denn SnackOSZ ist mehr als ein Schulcafé. Es ist so etwas wie die Dachmarke unter der weitere Schüler:innenfirmen aufgehängt sind. Diese Untermarken heißen Waffeltastisch, Crazy Crêpes oder Multilicious. Entwickelt werden sie im Seminarkurs Unternehmensgründung, den Nadine Heinrichs betreut. Eigentlich ist sie als Lehrerin für den Leistungskurs Wirtschaft verantwortlich. Die Schüler:innenfirma ist der perfekte Ort, um den Schüler:innen die Möglichkeit zu geben, die Theorie direkt in die Praxis umzusetzen.
Zusammenrücken in Zeiten der Distanz
„Der Seminarkurs war für mich der Grund, an diese Schule zu wechseln“, sagt Till Friedrich, der bei SnackOSZ für das Marketing zuständig ist. In dieser Rolle geht er eigentlich auf Leute zu, sucht die Bühne, das Scheinwerferlicht. Eigenschaften, die er in den vergangenen Jahren nur wenig entfalten konnte. Wer in diesem Sommer Abitur macht, hat fünf der sechs Oberstufenhalbjahre unter Pandemiebedingungen verbracht. Die Schüler:innenfirma war die wohltuende Ausnahme, ein Moment des Zusammenrückens in Zeiten der Distanz.
Auch dank der Unterstützung durch die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung. Es sind diese Impulse von außen, die den Unterschied machen können. Norbert Bothe kam vor rund drei Jahren mit einer Idee auf Nadine Heinrichs zu, die die Schüler:innenfirma nachhaltig verändern sollte: ein Wettbewerb vom Deutschen Design Museum im Rahmen des Förderprojekts „Markendesigner“, das die DKJS mitkonzipiert hat. Über einen Zeitraum von sechs Monaten hat ein Profi-Designer die Schüler:innenfirma auf dem Weg zum professionellen Markenbild begleitet. Für die Workshops nutzten die Schüler:innen die ansonsten verwaiste Schule. Manchmal braucht es Platz, damit sich kreative Gedanken ausbreiten können. „Das“, sagt Nadine Heinrichs heute mit Blick auf ihre Schüler:innenfirma , „war eine schöne Sache während der Coronapandemie.“
Vor allem war es eine lehrreiche Zeit. Für alle Beteiligten. Und eben auch für Nadine Heinrichs, die ihre Schüler:innen nochmal in einem anderen Kontext erleben konnte; die sehen konnte, wie sie kreative Methoden kennengelernt haben, die es so eben nicht im Lehrplan gibt. Tim Jechow, bei SnackOSZ unter anderem für die Finanzen und Design zuständig, braucht dank des Workshops nur fünf Minuten, ein druckreifes Plakatmotiv zu gestalten. „Außerdem kann ich jetzt Videos drehen und weiß etwa, wie ich einen QR-Code erstelle.“ Im Herbst fängt er ein Studium an, Wirtschaftsmathematik. Später geht’s vielleicht mal zu einer der großen Unternehmensberatungen. „Die Erfahrung des Gründens“, sagt er, „ist dafür sicher nicht schlecht.“
Einfach mal machen
Das Erscheinungsbild der Dachmarke, das Corporate Design von SnackOSZ, entstammt den Ideen und Entwürfen der Gruppe. Es verzichtet bewusst auf Farbe und lässt dazu im Kontrast zur schwarz-weiß Ästhetik allein das Essen in leuchtenden Farben erscheinen. „Wir konnten die Marketing-Theorien, die wir gelernt haben, direkt umsetzen“, sagt Tim Jechow.
Statt nur die Theorie eines Businessplans zu lernen, wird er am Konrad Wachsmann Oberstufenzentrum dank der Schüler:innenfirma unmittelbar in die Tat umgesetzt. Es ist diese Hands-on-Mentalität, die Max Conrad dabei geholfen hat, aus sich herauszukommen. „Ich bin eigentlich nicht so der Typ, der direkt auf andere Leute zugeht“, sagt er. Wer ein Produkt verkaufen will, muss aber genau das tun. In dem geschützten Raum der Schüler:innenfirma konnte er sich ausprobieren und weiterentwickeln. Geholfen hat dabei auch die DKJS: durch Beratung vor Ort an der Schule, Vermittlung von Projekten wie „Markendesigner 2021“ oder durch die Teilnahme etwa an der „Brandenburger Fachtagung 2022“ oder dem Workshop mit regionalem Bäckermeister. Eine besondere Möglichkeit, das Erlernte beim Austausch mit anderen Schüler:innenfirmen anzuwenden, war die internationalen Schüler:innenfirmenmesse in Berlin. „Mit anderen Schüler:innen in Kontakt treten, Produkte verkaufen – das ist eine gute Ergänzung zum normalen Unterricht“, sagt er. Nach dem bestandenen Abitur will er jetzt eine Ausbildung zum Vermessungstechniker machen. Er hat sich für einen Beruf entschieden, der einen Mix aus Büroarbeit und Außenterminen bietet.
Auch Meike Heinrich wird eine Ausbildung machen. In der Grenzregion Frankfurt/Oder hat sie sich für den Berufsweg beim Zoll entschieden. Jetzt aber sitzt sie noch einmal in jenem Raum, der das Schulcafé beheimatet und isst den Pulled Pork Hefekloß. An der Wand über dem Tisch steht einer der Slogans von SnackOSZ: „Viva la(ss) snacken“. In der Luft liegt eine Mischung aus Erleichterung und Melancholie. Die Schüler:innenfirma war für die Beteiligten – trotz aller Anforderungen – so etwas wie die mucklige Wolldecke, vertraut und verlässlich. „Normalerweise ist es in der Schule so, dass die Lehrerschaft auf der einen und wir Schüler:innen auf der anderen Seite stehen“, sagt Meike Heinrich. Die Schüler:innenfirma aber würde dieses Schema aufbrechen. „Hier sind wir auf Augenhöhe“, sagt sie. Ihre Lehrerin Nadine Heinrichs geht sogar noch einen Schritt weiter: „Wir sind eine Familie“, sagt sie.
Später wird „die Familie“ ein vielleicht letztes Mal gemeinsam grillen. Sie planen den Abend, wer was mitbringt, wer wann vor Ort ist. Till Friedrich, SnackOSZ-Marketingmann, denkt schon an die mittel- bis langfristige Zukunft. Er hat einen genauen Plan und der geht so: Zuerst will er Archäologie studieren, im Anschluss Filmproduktion. „Ich will einen Film drehen, der ein Mix aus Realityformaten, Fluch der Karibik und einer wirklich gut gemachten ZDF-Dokumentation ist“, sagt er. Wer weiß, vielleicht zieht Till Friedrich seinen Plan durch. Wenn er dann wahlweise auf der Bühne des Deutschen Fernsehpreises oder bei der Oscarverleihung seinen Award entgegennimmt, wird er wissen, bei wem er sich zu bedanken hat. Bei der Schüler:innenfirma SnackOSZ, seinen Mitschüler:innen und bei Nadine Heinrichs. Kurzum: bei seiner „Familie“. Neben all den Fähigkeiten und Talenten, die die Schüler:innen in den vergangenen Jahren durch die Schüler:innenfirma gelernt oder entdeckt haben, ist es am Ende wohl dieser Zusammenhalt, dieses Gefühl eine Familie zu sein, das bei den jungen Menschen von SnackOSZ als schöne Erinnerung an ihre Schulzeit zurückbleibt.