25.07.2024
Entrepreneurship Education trifft Berufliche Orientierung
Mitte Mai gab Ellen Wallraff, Programmleitung von Startup Zukunft!, der Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie Einblicke in die Schnittstelle von Entrepreneurship Education und Beruflicher Orientierung an Schule. Das Gespräch, das im Newsletter des Senats veröffentlicht wurde, können Sie hier im Wortlaut nachlesen.
Was genau ist „Entrepreneurship Education“ und wie ist sie in die Berufliche Orientierung eingebunden?
Entrepreneurship Education (EE) ist ein pädagogischer Ansatz, der unternehmerisches Denken und Handeln und die dafür notwendige Haltung fördert. Dabei ist uns als Startup Zukunft! wichtig, unternehmerische Kompetenz in einem weiten Sinne zu verstehen: Die Europäische Kommission benennt sie als eine von acht Schlüsselkompetenzen für Lebenslanges Lernen und meint damit „… die Fähigkeit des Einzelnen, Ideen in die Tat umzusetzen. Dies erfordert Kreativität, Innovation und Risikobereitschaft sowie die Fähigkeit, Projekte zu planen und durchzuführen, um bestimmte Ziele zu erreichen.“
Es gibt viele Lernsettings für Entrepreneurship Education, wie Workshops, Projekttage, Planspiele, Schüler:innenfirmen oder ganze Unterrichtsfächer, in denen Jugendliche mit innovativen Methoden an Lösungen für reale und fiktive Herausforderungen arbeiten. Dadurch werden sie nicht nur darauf vorbereitet, gute Antworten auf noch unbekannte Fragen zu finden, sondern erleben auch, dass sie selbst etwas bewegen können.
Das hat auch Implikationen für die berufliche Bildung: Schüler:innen sollten dazu befähigt werden, ihre eigene berufliche Laufbahn aktiv zu gestalten. Selbständigkeit und Gründung sollten neben einer abhängigen Beschäftigung ebenso ins Blickfeld rücken, wie die Bedeutung von Intrapreneurship, also das unternehmerische, innovative Denken und Handeln innerhalb bestehender Organisationen. Die EE trägt somit zur Entwicklung eines breiten Spektrums an beruflichen Perspektiven bei und fördert die Teilhabe am wirtschaftlichen Prozess sowie die Übernahme von Verantwortung im gesellschaftlichen und politischen Kontext. An den meisten Schulen und auch an beruflichen Schulen in Deutschland ist es leider noch Glücksache, ob Kinder und Jugendliche damit in Berührung kommen. Deshalb sehen wir im Bereich der allgemeinbildenden Schulen in der Schnittstelle zur Beruflichen Orientierung eine gute Möglichkeit, das Thema strukturell zu verankern und die berufsbiografische Gestaltungskompetenz zu fördern.
Welchen Mehrwert hat dieser Ansatz in der Beruflichen Orientierung von Schüler:innen? Und was verspricht sich die DKJS davon?
Als Deutsche Kinder- und Jugendstiftung stellen wir die Bedarfe der jungen Menschen in den Fokus. Uns ist es wichtig, sie mit Zukunftskompetenzen auszustatten, die sie befähigen, ihre eigenen Ideen und Visionen umzusetzen und unsere Gesellschaft aktiv mitzugestalten. Wir wollen Räume schaffen, in denen die Potenziale jedes jungen Menschen erkannt und gefördert werden, unabhängig von Herkunft, Fähigkeiten und wirtschaftlicher Situation.
Der Ansatz der Entrepreneurship Education bietet in der beruflichen Orientierung von Schüler:innen einen wesentlichen Mehrwert, indem er sie ermutigt, eine proaktive, selbstbestimmte Rolle in ihrer beruflichen Entwicklung einzunehmen. Sie lernen, kreativ zu denken, Probleme zu erkennen und Lösungen zu entwickeln, ihre Stärken zu identifizieren und diese unternehmerisch einzusetzen. Dies fördert nicht nur ihre individuelle Selbstwirksamkeit und ihr Selbstbewusstsein, sondern bereitet sie auch darauf vor, flexibel auf die sich wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes zu reagieren. Im besten Fall reflektieren die Schüler:innen auch Existenzgründung und berufliche Selbständigkeit als mögliche Optionen in ihrer Lebenswegplanung.
Können Sie ein paar Beispiele aus der Praxis nennen, wo Entrepreneurship Education bereits Erfahrungsräume öffnet oder relevante Fähigkeiten stärkt?
Wir haben mit unseren unterschiedlichen Programmen in diesem Bereich bereits viele eindrucksvolle Situationen erleben dürfen. Die griffigsten Beispiele bieten meist die Schüler:innenfirmen. Schüler:innenfirmen sind pädagogische Projekte, die sich an echten Unternehmen orientieren. Gemeinsam planen, produzieren und verkaufen Schüler:innen reale Produkte oder Dienstleistungen. Die Methode eignet sich für Schulen der Sekundarstufen mit oder ohne Förderschwerpunkt sowie für berufsbildende Schulen. Die Schüler:innen haben in diesen Projekten eine hohe Selbstverantwortung. Der hier entstehende Freiraum bietet die Möglichkeit, eigene Interessen zu entdecken und später weiter zu verfolgen. Wir kennen Schüler:innen, die hierdurch die Liebe zur grafischen Gestaltung oder zum Backen entdeckt haben und ihren beruflichen Lebensweg danach ausrichten. Rosa, Geschäftsführerin einer Merchandise-Schüler:innenfirma aus Sachsen-Anhalt beschreibt ihren wichtigsten Lernzuwachs so: „Durch die Schülerfirma habe ich gelernt, dass es immer im Leben Höhen und Tiefen gibt, aber man niemals aufgeben sollte.“
Inwiefern werden dabei die verschiedenen Zielgruppen spezifisch gefördert / werden Geschlechterunterschiede und soziale Benachteiligung adressiert und ausgeglichen?
Es gibt nicht die eine Methode im Bereich der Entrepreneurship Education. Insofern ist es wichtig, die Angebote und Instrumente in ihrer Art der Ansprache auf die jeweiligen Zielgruppen anzupassen. Bei den Schüler:innenfirmen z.B. sehen wir eine große Bandbreite an Umsetzungsmöglichkeiten: Von Jugendlichen, die Workshopangebote zu Software-Anwendungen und Produkte aus dem 3D-Drucker vertreiben, über Cafés und Merchandising bis zur stärker angeleiteten handwerklich tätigen Schüler:innenfirma, die z.B. Nistkästen baut. Learning-by-doing, Arbeitsabläufe und Aufgabenbereiche eines Unternehmens kennenlernen, aus Fehlern lernen und Verantwortung übernehmen steht aber bei allen gleichermaßen an und fördert die Selbstwirksamkeit. Gerade durch die handlungsorientierten Methoden, die den Jugendlichen viel Freiraum geben, sich auszuprobieren, werden auch Schüler:innen adressiert, denen rein kognitive Zugänge schwerer fallen. Für Lehrkräfte besteht die Möglichkeit, die Fähigkeiten und Interessen der Jugendlichen anders kennenzulernen.
Bezüglich der Geschlechtersensibilität: Natürlich können bestimmte Angebote zielgruppenspezifisch angeboten werden, wie beispielsweise das DKJS-Programm Technovation Girls Germany. Aber die berufliche Orientierung soll ja alle Kinder und Jugendlichen in der Schule gleichermaßen erreichen. Insofern können Geschlechterungleichheiten eher implizit berücksichtigt werden, z.B. durch Rollenvorbilder oder die Ermutigung sich in eher untypischen Positionen oder Tätigkeiten auszuprobieren.
Im Juni veranstalten Sie einen Fachtag zum Thema. An wen richten Sie sich mit dem Programm und was erwartet die Teilnehmenden?
Das Programm richtet sich insbesondere an Fachkräfte, die für berufliche Orientierung zuständig sind, also an Pädagog:innen und Mitarbeitende der Bildungsverwaltung, sowie allgemein an Akteur:innen aus Entrepreneurship Education und Beruflicher Orientierung.
Wir freuen uns, einen Fokus auf die Schnittstelle zwischen Beruflicher Orientierung und Entrepreneurship Education zu legen. Denn das fehlt unserer Meinung nach in der Praxis noch: Wo überschneiden sich Zielsetzungen und passen bestehende Instrumente zusammen? Wir bieten unterschiedliche Impulse an und bieten Raum für Austausch. Es werden auch Jugendliche und Lehrkräfte aus unseren Projekten vor Ort sein, die Lust haben ihre Erfahrungen zu teilen. Wir müssen auch nicht alles neu erfinden, oft ist es schon ein großer Mehrwert von anderen zu lernen und Synergien stärker zu nutzen.