23.05.2023

Nachwuchsgewinnung & Entwicklungspotenzial: 20 Jahre Schüler:innenfirma Ökotec

Einblicke Nachhaltigkeit

Die Kölner Schüler:innenfirma Ökotec auf der FEZ-Messe in Berlin. © Dominik Berton / DKJS

Hallo Herr Beger, schön, dass Sie heute mit uns sprechen. Wie kam es dazu, dass Sie als Lehrkraft in der Schüler:innenfirma Ökotec aktiv wurden?

Martin Beger: Danke für die Einladung. Das hat sich relativ schnell mit meinem Start in der Schule ergeben. Ich wurde von unserer didaktischen Leitung angesprochen und gefragt, ob ich Lust hätte, mich bei Ökotec zu engagieren. Damals wusste ich noch gar nicht, was das umfasst – es hat sich aber als tolles Projekt und riesen Glücksfall rausgestellt. Ich habe mit dem Lehrer, der die Schüler:innenfirma ins Leben gerufen hat, dann ein halbes Jahr gearbeitet und als er in Pension ging übernahm ich schließlich das Projekt.

Das klingt nach einer spannenden Zeit. Wie würden Sie Ihre Rolle bei Ökotec beschreiben?

Ich möchte, dass die Schüler:innen im Mittelpunkt stehen – deshalb bin ich als begleitender Lehrer vor allem in organisatorischer Funktion aktiv, der Rest entsteht vor allem auch aus tollen Netzwerken, die ich von meinem Vorgänger übernommen habe.

Das Thema Nachwuchsgewinnung ist bei langjähriger Schüler:innenfirmenarbeit ein großes Thema. Wie schaffen Sie es, Nachwuchs für Ökotec zu gewinnen?

Wir arbeiten mit Ökotec jahrgangsübergreifend. Das bringt viele Chancen, aber auch organisatorische Herausforderungen mit sich.

Welche Vorteile sehen Sie an diesem Konzept?

Ich erinnere mich gern an unsere Fahrt nach Gelsenkirchen zur Fairtrade-Schüler:innen-Akademie – dort fahren Neuntklässler:innen aber auch Schüler:innen aus der 13. Klassenstufe mit. Zu Beginn sind alle immer noch ein bisschen schüchtern – auf der Rückfahrt merkt man aber, dass durch solche Fahrten eine tolle Gemeinschaft entsteht. Die Schüler:innen unterhalten sich dann schnell auf Augenhöhe – das ist das schöne an dem Projekt: Anhand eines Kernthemas oder Tätigkeitsfeldes stärken wir die Schulgemeinschaft und motivieren als Vorbilder auch neue Schüler:innen, sich zu engagieren.

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Jubiläumsvideo der Schüler:innenfirma. © Ökotec

Gerade befinden Sie sich ja auch wieder in einem Wechsel – sehr engagierte Schüler:innen aus der 13. Klasse werden die Schule bald verlassen, wie geht es dann weiter?

Durch den jahrgangsübergreifenden Ansatz tragen die Schüler:innen direkt gemeinsam Verantwortung. Aliya, unsere Geschäftsführerin, hat beispielsweise einen Instagram-Account für Ökotec gestartet. Da sie die Schule nun verlässt, übergibt sie diesen gerade an eine Neuntklässlerin. Aktuell betreuen sie gemeinsam den Kanal. Die jüngeren Schüler:innen wachsen somit in neue Verantwortung hinein, so ist es beispielsweise auch mit Themen wie Buchhaltung.

Wie sprechen Sie denn die neuen Schüler:innen der Schule an?

Wir machen die jüngeren Schüler:innen ab der fünften Klasse auf die Schüler:innenfirma aufmerksam. Indem wir Klassen besuchen und uns vorstellen, lernen sie uns kennen und können mitmachen. Außerdem machen wir Starterpakete für die Schüler:innen, in denen Hefte und Büromaterialien für den Anfang enthalten sind. Diese können die neuen Schüler:innen bestellen. Außerdem bereiten meistens unsere größeren Schüler:innen ein kleines Fairtrade-Quiz vor. Das hat in den letzten Jahren tatsächlich dazu geführt, dass wir viel Kundschaft aus den jüngeren Klassen hatten. In der 7. Klasse bieten wir dann eine AG an und in der 9. Klasse leite ich jetzt einen Kurs, den Schüler:innen zwei Jahre besuchen können. Darin vermittle ich Wissen über Nachhaltigkeit und Fairtrade und kann das Bewusstsein der Schüler:innen fördern. Oft bleiben Schüler:innen dann aus der AG bei Ökotec bis in die Oberstufe hinein.

Wie hat sich denn die Schüler:innenfirma in den ganzen Jahren weiterentwickelt?

Eine große Entwicklung der Firma sehe ich tatsächlich dank unseres jetzigen Abiturjahrganges. Schüler:innen wie unsere Geschäftsführerin Aliya stecken viel Energie und Leidenschaft in Ökotec und bringen die Firma sehr voran, beispielsweise mit dem Instagram-Account. Im Vergleich zum Gründungsjahr haben wir uns auch durch äußerliche Umstände entwickeln müssen – so sind wir eine Zeit lang mit der Schüler:innenfirma in einen Container gezogen, was den Verkauf natürlich erschwert hat. Jetzt haben wir einen eigenen Raum und den Kiosk, der an die Mensa angeschlossen ist.

Die Schüler:innen beim Ideenlab für nachhaltige Schüler:innenfirman in Köln. © Volker Beushausen / DKJS

Welchen Tipp würden Sie anderen Lehrkräften für den langjährigen Erhalt einer Schüler:innenfirma geben?

Uns haben gute Netzwerke immer sehr geholfen. So auch Peter Franke, unser Schüler:innenfirmenberater aus Köln (ConAction) und Sie von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung. Wir können dadurch Ausflüge machen, andere Firmen kennenlernen und uns viel austauschen – aus diesen Reisen gehen wir immer gestärkt raus. Außerdem fällt mir bei Ihrer Frage direkt auch Mut zu Widerständen ein oder eine gewisse Standhaftigkeit, die man mitbringen sollte. Das höre ich auch oft auf Netzwerktreffen. Es ist ja selten so, dass die ganze Schulgemeinde hinter solch einem Projekt steht. Das heißt, man muss auch mit kleinen Erfolgen leben können und mein kleiner Erfolg ist, dass man die Schüler:innen erreicht und weiß, einige beschäftigen sich jetzt in unserem Falle mit dem Thema „Fairer Handel“. Und natürlich braucht es Schüler:innen, die für das Projekt brennen, also Jugendliche, die auch bereit sind, ihre Schulfreizeit für das Thema zu opfern.

Was denken Sie aus Ihrer Erfahrung, welchen Effekt hat das Engagement bei Ökotec auf den Werdegang der Schüler:innen?

Das ist schön, dass Sie das fragen. Ich habe schon da Gefühl, dass Schüler:innen durch die Arbeit bei Ökotec die Struktur, die Organisation in der Firma, Kompetenzen aufbauen, die ihnen später in ihrem Werdegang helfen. Eine Schülerin schrieb mir zum Abschied einmal, dass eine Umfrage, die wir zu fairem Handel gemacht haben, sie sehr geprägt hat und sie dadurch in ihrer Persönlichkeit total gewachsen ist und mit einer gestärkten Meinung aus der Schule ging. Das hat mich sehr bewegt, vor allem, weil sie dies besonders mit dem Engagement in der Schüler:innenfirma verbunden hat. Ich glaube, das sind keine Einzelfälle – die Schüler:innen lernen durch ihre Arbeit in der Firma mit Menschen zu kommunizieren, sich zu trauen auch Leute anzusprechen und mit ihnen ins Gespräch oder sogar einen Diskurs zu kommen. Sie lernen, wie gehe ich professionell mit Kund:innen um, wie bleibe ich wertschätzend, stehe aber trotzdem hinter meiner Mission. Das ist der größte Mehrwert, den auch ich als Lehrer aus dem Projekt mit rausnehmen kann.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 20 Jahre von Ökotec?

Wir Lehrkräfte brauchen weiter gute Beratung und vor allem Zeit. Es ist schwer in der begrenzten Zeit, die wir pro Woche haben, bspw. ein ordentliches Firmenorganigramm aufzubauen und einzuhalten. Wenn wir weiterhin tolles Engagement von den Schüler:innen haben, genügend Zeit und weiter neue Ideen, bin ich aber optimistisch, dass es gut mit uns weitergeht. Wir würden zum Beispiel total gern den Schwerpunkt der nachhaltigen Büroartikel weiter ausbauen und auch unser Projekt aus dem Ideenlab weiterverfolgen. Darin haben wir ein Konzept für nachhaltige Gürtel aus alten Fahnen der Stadt Köln entwickelt. Außerdem haben wir jetzt einen Gemüseacker in der Schule, dessen Produkte wir auch bei Ökotec gut verkaufen könnten.

Das klingt toll. Kommen wir zur letzten Frage: Wenn Sie 20 Jahre Ökotec mit einem Wort beschreiben müssten, welches wäre das?

Mir fällt direkt das Wort Schulleben ein. Die Schüler:innenfirma ist für mich eben Schule, es gibt lustige Anekdoten, engagierte Schüler:innen und Kolleg:innen und mehr als nur Unterricht.

Haben Sie vielen Dank für das tolle Gespräch! Wir wünschen Ökotec weiterhin ganz viel Erfolg!

 

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